Brafa in Brüssel – Gesetzmässigkeiten des Zeitgeschmacks

Brafa in Brüssel – Gesetzmässigkeiten des Zeitgeschmacks
von Annegret Erhard, Brüssel 
Was zählt, ist das herausragende Einzelstück. Viele Aussteller an der Brafa bringen höchste Qualität und können damit auch den alten Fuchs unter den Sammlern animieren.

Natürlich gibt es sie noch, die ästhetisch Gebildeten, die über die nötigen Mittel verfügen. Aber sie kaufen viel lieber hie und da ein kurioses Stück, ein demonstrativ prestigeträchtiges Objekt oder einen Gegenstand, in dem sich idealerweise Historie, Kultur und herausragende Handwerkskunst vereinen. Und das bedeutet eben, dass man sich nicht mehr ausgiebig einer Sparte oder einer Epoche widmet. Gott bewahre, das wäre monomanisch fad, auf jeden Fall zu anstrengend und im Ergebnis schliesslich ganz schön engstirnig.

Mit dieser zugegeben hier etwas verkürzt formulierten Haltung muss der Kunsthandel zurechtkommen. Und schlägt sich, wie an der Kunst- und Antiquitätenmesse Brafa in Brüssel sehr gut zu erkennen ist, wacker mit der einzig adäquaten Waffe: Man bringt höchste Qualität und kann damit auch noch den alten Fuchs (auch die Füchsin) unter den Sammlern mit bisher Ungekanntem animieren.

Alte Meister, mittelalterliche Skulpturen, Möbel, Teppiche, Kunsthandwerk wie Porzellan und Silber sind dabei quantitativ erkennbar auf dem Rückzug. Was zählt, ist das herausragende Einzelstück: Die Kunstberatung Zürich etwa hat ein Altar-Triptychon des Antwerpener Meisters von 1518, das nach Grösse und Anlage zum Gebrauch in einer höfischen Kapelle geschaffen wurde (600 000 Euro), mitgebracht. De Bakker (Hoogstraten, Belgien) hat eine für das Maasland typische Madonnenfigur aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, eine «Sedes Sapientiae», von überwältigender, majestätisch in sich ruhender Ausstrahlung (145 000) am Stand. De Voldère (Paris) pflegt die flämische Malerei seit Jahren erfolgreich mit den Breughels und Bosch und deren Umfeld. Was allerdings die Galerie dazu bewegt, die Gemälde in einer schwarzen Kammer und ausgeleuchtet wie auf dem Display eines Tablets zu präsentieren, erschliesst sich nicht ganz.

Seit einiger Zeit feiert das Kuriositätenkabinett, die Kunst- und Wunderkammer, fröhliche Urständ. Händler wie Finch & Co. (London) haben massgeblich dazu beigetragen und richten sich auch in Brüssel mit gedrechselten Elfenbein-Gefässen, Narwalzähnen, winzigen Kruzifixen, kostbar intarsierten Döschen, mit Plaketten und fremdartigen Amuletten an die neugierigen Einsteiger. Publikumsliebling ist der Stand von Cento Anni (Brüssel), wo die Elfenbein-Bronze-Tänzerinnen von Chiparus und Preiss zur grandios-kitschigen Choreografie versammelt sind (60 000 bis 150 000 Euro).

Wichtigster Magnet ist indes nach wie vor, und trotz den Brüsseler Spezialmessen zu diesem Segment, die Stammeskunst. Stellvertretend sei Claes (Brüssel) genannt, der begehrte Statuen und Masken aus einer Privatsammlung präsentiert: Faszinierend der «Fliegende Schamane», ein Elfenbeinamulett der Inuit aus dem 19. Jahrhundert, das, stilisiert und anrührend, ein Mischwesen im entrückten Zustand der Transformation von Mensch zu Tier darstellt (18 000 Euro bei Monbrison aus Brüssel).

Marmorköpfe, Reliefs, Kriegerstatuen und vor allem die Tiergestalten der antiken Kulturen schlagen auch die weniger kenntnisreichen Interessenten in ihren Bann. Unwiderstehlich ist da die kleine grüne Fayence-Figur des Gottes Thot (6. Jahrhundert v. Chr.), verkörpert als hockender Pavian mit souveräner Attitüde (bei Cybele aus Paris).

Den puristischen Zeitgeschmack unserer Tage treffen die Antiken in ihrer reduzierten, dabei ausdrucksvollen Gestaltung allemal – eine grosse kykladische Marmorschale des dritten Jahrtausends v. Chr. bei Phoenix (Genf / New York, 280 000) hat die Anmutung eines dekorativen Obsttellers, war aber sicherlich Bestandteil des Ritualgeräts beim antiken Beerdigungszeremoniell.

Es gibt eben beim Kauf von frühen und aussereuropäischen Kultgegenständen viel mehr zu bedenken als die üblichen Überlegungen zum Entwicklungspotenzial seines Werts. Der ursprüngliche Gebrauch, seine Bedeutung und Stellung in der fremden Kultur, nicht zuletzt natürlich seine Herkunft rücken, nicht nur zur Freude des Handels und der verkaufswilligen, langjährigen Sammler, mehr und mehr ins Zentrum. Wer da als Händler nicht mittut und seinen Ansatz nicht zeitgemäss verschiebt, dürfte sich in Zukunft schwertun. Das wiederum wäre schade für die Messelandschaft, in der solche eklektischen Veranstaltungen wie die Brafa einen hohen Stellenwert haben, auch als Museum auf Zeit. (Bis 29. Januar)